(function(w,d,s,l,i){w[l]=w[l]||[];w[l].push({'gtm.start': new Date().getTime(),event:'gtm.js'});var f=d.getElementsByTagName(s)[0], j=d.createElement(s),dl=l!='dataLayer'?'&l='+l:'';j.async=true;j.src= 'https://www.googletagmanager.com/gtm.js?id='+i+dl;f.parentNode.insertBefore(j,f); })(window,document,'script','dataLayer','GTM-PSMJP4L'); Barbara Bleisch über das Menschsein der Digitalisierung – Smart-Wissen
Portrait von Barbara Bleisch





Menschen

«Wir müssen uns fragen, wohin die digitale Reise gehen sollte»

Die Philosophin Barbara Bleisch spricht im Interview über die Euphorie, die Entmündigung und die Einsamkeit des Menschen im Zeitalter der Digitalisierung.






Digitale Technologien dominieren heute in vielfacher Weise unser Leben, sie überfordern uns aber auch. Wie sollen wir mit diesem Widerspruch umgehen?

Der Mensch hatte immer ein ambivalentes Verhältnis zur Technik, das zeigt die Geschichte. Als die Eisenbahn erfunden wurde, sagten viele Menschen, dass sie nie in eine solche Teufelsmaschine sitzen werden. Und trotzdem mussten sie lernen, damit umzugehen. Die Digitalisierung bildet da keine Ausnahme, auch hier stehen sich Kritiker und Euphoriker gegenüber. Trotzdem gibt es einen fundamentalen Unterschied: Wir Menschen verschmelzen zunehmend mit der Technik. Noch halten wir das Smartphone nur fest in der Hand, aber vielleicht werden uns bald Chips implantiert oder Nanocomputer in die Blutbahnen eingeschleust. Die Digitalisierung geht uns Menschen buchstäblich unter die Haut.

Bei so viel Nähe stellt sich unweigerlich die Vertrauensfrage …

… und stürzt uns ins Dilemma. Vieles im Alltag ist gar nicht mehr möglich ohne technische Hilfsmittel. Sie gewähren uns entscheidende Zugänge und machen unser Leben angenehmer und sicherer. Trotzdem fällt es uns schwer, der Technik wirklich zu vertrauen. Das hängt damit zusammen, dass Vertrauen immer zwei Komponenten hat: Zum einen hoffen wir, dass keine Fehler passieren. Diesbezüglich ist die Technik zuweilen vertrauenswürdiger als der Mensch. Zum anderen heisst Vertrauen auch, davon auszugehen, dass man es gut meint mit uns, dass unser Gegenüber respektvoll umgeht mit uns. Ein selbstfahrendes Auto kann es aber nicht «gut meinen» mit uns.

Wenn das Selbst irgendwelchen Tech-Giganten und nicht mehr uns gehört, ist das bedenklich.

Und trotzdem lassen wir uns von den digitalen Gadgets und Apps verführen und schleichend entmündigen?

Ich befürchte ja. Wir haben damit begonnen, unser Denken an die Geräte zu delegieren und entscheiden nicht mehr selbst, folgen den Algorithmen, mit denen Firmen, Dienste und soziale Medien arbeiten. Wir lesen die Bücher, auf die uns Amazon aufmerksam macht und reisen an jene Feriendestination, die andere besucht und positiv bewertet haben. Oder wir essen das, was uns Gesundheits- und Fitness-Apps empfehlen.

Sind wir zu bequem, diese Entwicklung der Digitalisierung zu hinterfragen?

Vielleicht. Wir reagieren zwar pikiert, wenn uns der Staat etwas vorschreiben will, etwa bei Rauchverboten oder wenn die Einführung einer Zuckersteuer droht. Erstaunlicherweise regt sich aber selten jemand auf, wenn die Digitalisierung eingreift in sein Leben. Günther Anders, ein wichtiger Technikphilosoph, hat mal gesagt: Das Selbst ist das erste besetzte Gebiet, wenn sich Machtverhältnisse ändern. Die zentrale Frage ist also: Wer besetzt das Selbst, wer greift darauf zu? Wenn das Selbst irgendwelchen Tech-Giganten und nicht mehr uns gehört, ist das bedenklich. Denn es gehört ganz wesentlich zu unserem Selbstverständnis dazu, dass wir uns nicht bevormunden lassen und selbstbestimmt entscheiden. Eine mündige Person zu sein heisst – da kann man an Immanuel Kant erinnern – selber zu denken und sich nicht leiten zu lassen von fremden Autoritäten. Wenn wir diesen Anspruch aufgeben, ist das gefährlich.






Barbara Bleisch im Interview an der Universität Zürich
Die Philosophin Barbara Bleisch moderiert die «Sternstunde Philosophie» beim SRF.





Sich leiten lassen ist aber im Trend: Yoga-Ratgeber und Digital-Detox-Anleitungen sind regelmässig auf den Bestseller-Listen. Wir fliehen ins Analoge und in die Natur.

Solche Fluchtbewegungen gab es schon immer: Wenn eine neue Phase der Industrialisierung begonnen hat, hatten auch Aussteigerphantasien Hochkonjunktur. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass heute viele Leute wieder ähnliche Bedürfnisse haben.

Dann verkehren sich die sozialen Medien in ihr Gegenteil: Man wird einsam.

Über soziale Medien lassen sich viele Menschen für eine gemeinsame Sache mobilisieren, im positiven wie im negativen Sinne. Allerdings kann man auch in Gruppen einsam sein, Masse ist oft etwas sehr Anonymes. Die Einsamkeit wird nur durch den realen Kontakt durchbrochen. Das wirkliche Aufgehobensein und Verstandenwerden bedingt ein gegenseitiges Zuhören. Ich bezweifle, dass es in einer Facebook-Gruppe tatsächlich ums Zuhören geht. Oft geht es nur um Like oder Dislike, um Top oder Flop, ein richtiges Gespräch findet nicht statt.

Im digitalen Raum scheint aber alles viel leichter und einfacher …

Heute dreht sich viel um die Optimierung des Menschen, jeder muss immer noch besser, lustiger, fitter werden. Die Rating-Gesellschaft kennt keine Pause vom Wettbewerb. Da fällt es uns oft schwer, zu akzeptieren, dass das Leben auch Widerstände beinhaltet, dass es schwierig und schmerzhaft sein kann. Die virtuelle Welt verleitet uns auch dazu, alles Schwierige zu ignorieren.

Aus meiner Sicht gehört dazu, dass wir sterblich sind. Das ist eine menschliche Grundkonstante.

Wohin wird uns die digitale Reise noch führen?

Das ist offen. Klar ist, dass Zukunft nicht einfach eine Verheissung ist. Zukunft beinhaltet immer einen Gestaltungsauftrag. Technik ist menschengemacht, wir haben es in der Hand, wie und wo wir sie einsetzen. Wie sich die Dinge entwickeln, hängt also massgeblich von uns ab. Dazu brauchen wir auch positive Utopien. Wir müssen uns also aktiv fragen, wohin die Reise gehen könnte und sollte.

Das ist aber ziemlich anstrengend.

Einige Wissenschaftler im Silicon Valley träumen davon, die Sterblichkeit des Menschen zu überwinden und gottähnliche Supermenschen zu werden. Aus meiner Sicht gehört es dazu, dass das Leben manchmal weh tut, dass wir scheitern, dass wir sterblich sind. Dies sind menschliche Grundkonstanten.

Braucht es da die Philosophie, die fragt, was der Kern des Menschen ist?

Die Philosophie hat sich immer dagegen gewehrt, als Autorität aufzutreten. Philosophie beginnt mit dem Zweifel, Philosophie erschüttert fundamental. Die Philosophie nimmt uns die Aufgabe also nicht ab, selber zu denken. Aber Philosophie kann wichtige Fragen stellen – zum Beispiel, was uns Menschen im Kern ausmacht. Ausserdem macht Philosophie das Leben einfach schöner. Als Kunst der Genauigkeit leistet sie sich die Unterscheidung. Die digitalen Filterblasen, in denen wir leben, machen uns zunehmend blind für Schattierungen. Differenzierungen sind aber sehr wichtig und machen das Leben erst wertvoll und spannend.






Barbara Bleisch (46)

Die Schweizer Philosophin moderiert seit 2010 die «Sternstunde Philosophie» beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF und ist Kolumnistin beim «Tages-Anzeiger» und beim «Philosophie Magazin». Bleisch ist zudem Dozentin für Ethik in verschiedenen Weiterbildungsstudiengängen an den Universitäten Zürich und Luzern. Zuletzt erschien ihr Buch «Warum wir unseren Eltern nichts schulden».






War dieser Artikel nützlich für Sie?
Ja Nein

Du hast diesen Artikel hochgestimmt.

Du hast diesen Artikel heruntergestuft.